«Zweifelsohne Wein!», urteilten die Chemiker bei der Analyse der braunen Partikel, die 1992 bei einer Ausgrabung in der Nähe von Cagliari gefunden wurden. Und lieferten mit dem unglaublich alten Jahrgang – 900 vor Christus – den Beweis, dass der Weinbau auf Sardinien eine schier endlose Tradition hat.
Noch bis in die 1970er-Jahre standen sardische Weine jedoch kaum im Fokus eingefleischter Geniesser. «Meist wurde der gekelterte Traubensaft in anonymen Behältern verschifft, um Weinen auf dem Festland in Sachen Alkoholgehalt, Aroma und Farbe auf die Sprünge zu helfen», erzählt Andrea Conconi (55). Er ist Experte für italienische Weine bei Coop. Erst ab den 1980er-Jahren erzeugen Kellereien – auf Sardinien sind dies meist grosse Genossenschaften – auf der insgesamt 43 000 Hektar grossen Rebfläche Rotweine, die auch international ein gutes Ansehen geniessen.
Das Eiland mit den bizarren Landschaften und dem karibikblauen Meer profitiert von unterschiedlichen Temperaturzonen. «In der kühleren Alghero-Ebene im Norden herrschen die besten Voraussetzungen für weisse Sorten wie den lieblichen Nuragus oder den fruchtigen Vermentino mit der goldgelben Färbung und den meist grünen Reflexen», so der Fachmann. An der warmen Süd- und Westseite gedeihen die süsslichen Malvasia-, Sardegna- und Nasco-Trauben. Dort entstehen auch Rotweine wie etwa der trockene Monica oder der tanninhaltige Carignano del Sulcis. Allerdings kämpfen die südlichen Provinzen mit Trockenheit, weshalb eine künstliche Bewässerung meist unumgänglich ist. Der Grenache, der auf Sardinien Cannonau heisst, bekommt diese Dürre kaum zu spüren. Sein Hauptanbaugebiet befindet sich vor allem im östlichen Teil der zweitgrössten Insel des Mittelmeeres.
Doch ganz egal, ob es um die Produktion von zwei Drittel Rotwein oder einem Drittel Weisswein geht: Besonders in der Vergangenheit unterstellte man den Winzern fehlenden Ehrgeiz in Sachen Qualität. Das bemängelte schon der italienische Naturforscher Andrea Bacci im 16. Jahrhundert. Zwei Dinge, so schrieb er in seinem Buch über die «Insel der Weine», stünden dem Anbau im Weg. «Das während der Sommermonate seuchengefährdete Land» und «die allgemeine Trägheit, Felder zu vernachlässigen.» Jedoch nicht ohne den schlichtenden Zusatz: «Die guten Bewohner Sardiniens mögen mir diesen Tadel doch bitte vergeben.»
Im 21. Jahrhundert scheint diese Behauptung – die Sarden seien unambitioniert – teilweise überholt zu sein, obwohl leider noch immer viel durchschnittlicher Wein die Märkte überflutet. Die besten Tropfen, die die mineralstoffreichen Kalk- und Sandsteinböden hergeben, stammen unter anderem aus der Genossenschaft Cantina di Santadi, die mit dem Barrua oder Terre Brune aufwarten können, oder vom privaten Weingut Argiolas, das die beiden Spitzenrotweine Turriga und Korem (siehe Weintipp) produziert. Am bekanntesten sind jedoch die Weine der Kellerei Sella & Mosca, die 1899 durch den Ingenieur Sella und den Juristen Mosca (beides eigentlich Piemonteser) in der Nähe von Alghero gegründet wurde. Seit 2001 befindet sich die Aktiengesellschaft im Besitz von Campari. Und: produziert pro Jahr alleine sieben Millionen Flaschen. Fast viermal so viel, wie die Sonneninsel Einwohner hat.